Die Tragödie Palästinas und die Antisemitismus-Debatte
Das Dilemma der deutschen Erinnerungspolitik
Die deutsche Politik tut sich schwer mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Nach über 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust wird im Land der Täter erbittert über das authentische Erinnern an den von Deutschen begangenen Massenmord an den europäischen Juden gestritten: Soll dieses Mega-Verbrechen partikularistisch oder universalistisch erinnert werden, das heißt, einseitig auf Israel und die Juden bezogen oder alle Menschen auf der Erde einbeziehen? Was wie ein akademischer Streit wirkt, ist von eminenter politischer Bedeutung. Der Streit hat sich so zugespitzt, dass er inzwischen Kernelemente der Demokratie bedroht: die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit.
Denn Israel besteht auf seinem Monopol, das Vermächtnis des Holocaust zu bewahren, das bedeutet aber, dass das Erinnern einseitig ethnisiert wird. Deutschland folgt Israel darin wegen seines Schuldbewusstseins und in dem Streben nach Schuldentlastung. Diese Singularität des monopolisierten Erinnerns wird aber als politische Waffe benutzt und schließt andere Völker aus der Erinnerung aus, die auch eine Leidensgeschichte haben – etwa die Palästinenser, die Opfer der zionistischen Kolonisation sind. Es wird eine Hierarchie der Leidensgeschichten mit dem Holocaust an der Spitze konstruiert und von Israel mit dem scharfen Schwert des Antisemitismus-Vorwurfs verteidigt, anstatt den Holocaust in Beziehung zu anderen Genoziden und Zivilisationsbrüchen zu setzen. Erst durch Vergleichen kann man Erkenntnisse und ethische Maßstäbe gewinnen. Das entlässt die Deutschen nicht aus ihrer Verantwortung, würde aber dem besseren Verstehen unter den Völkern, der Versöhnung und dem Frieden dienen – vor allem aber dem „Nie wieder!“
Beiträge zur Internationalen Politik, Bd. 16
ISBN 9783944487830, kartoniert, 14,8x21,0 cm, 222 Seiten